Historische Schnitte vergrößern

Es geht hier nicht darum, wie man einen Schnitt auf eine andere Figur anpaßt. Das ist eine rechte Wissenschaft, die ich mehr schlecht als recht beherrsche, und über die zumindest Ansatzweise jedes vernünftige Schneidereibuch Auskunft gibt.

Viele historische Schnitte sind verkleinert, damit sie in einem Buch oder einer Zeitschrift abgebildet werden konnten. Andere habe ich verkleinert, um sie in einen Scanner stecken zu können. Wenn Du nun an originalgroße Burdaschnitte gewöhnt bist, wirst Du Dich vielleicht fragen, wie man mit diesen winizgen Schnitten ein Gewand machen soll - dann solltest Du weiterlesen. Aber Vorsicht: Historische Schnitte (vor ca. 1920) sind nie so genau, und man braucht neben einer ziemlichen Portion Augenmaß auch genug Nahtzugabe, um doch noch mal ändern zu können. Da die Schnitte eher selten die gewünschte Konfektionsgröße haben, ist in den meisten fällen sowieso noch eine Probeschnitt nötig.

Bevor Du mit einem der folgenden Schritte weitermachst, solltest Du den Schnitt so groß wie möglich ausgedruckt haben. Diesen Ausdruck nennen wir im Folgenden "Miniatur".

Koordinatenschnitte

Wer in Mathe aufgepaßt hat, wird sich erinnern, daß man die Lage eines Punktes in einem Koordinatensystem durch die Entfernung zum Nullpunkt auf der x- und y-Achse eindeutig angeben kann. Nach diesem Prinzip arbeiten Koordinatenschnitte, die in zwei Formen vorkommen: In den Rechten Winkel zwischen zwei Geraden (ein klassisches Koordinatensystem) gezeichnet, oder in ein Rechteck eingeschrieben - hier sind die Achsen einfach verdoppelt, damit die Maßangaben möglichst nahe beim zugehörigen Punkt stehen können. Die angegebenen Punkte sind für gewöhnlich herausstechende Stellen des Schnittes, z.B. Ecken und Scheitelpunkte von Kurven.

Zeichne ein Rechteck mit der im Schnitt angegebenen Seitenlänge (die größte Zahl auf jeder Achse) auf ein großes Papier. Die Maßzahlen werden nach einer Ecke hin kleiner - dort ist der Nullpunkt. Markiere ihn im großen Rechteck. Markiere jede Maßangabe der Miniatur auf den Seiten des Rechtecks und zeichne dünne Striche senkrecht dazu ins Rechteck hinein. Am besten machst Du das paarweise: Ein x-Wert, der zugehörige y-Wert, Senkrechten zeichnen bis sie sich kreuzen, Kreuzungspunkt auffällig markieren usw.

Sind alle Punkte markiert, muß man sie verbinden. Da die Verbindungslinien eher selten gerade sind, muß man die Miniatur als Muster nehmen - hier kommt das Augenmaß ins Spiel.

Hier sind ein paar Illustrationen aller Schritte.

Wenn Du Dir Deines Augenmaßes nicht ganz sicher bist, dividiere die Seitenlänge des großen Rechtecks durch die Seitenlänge der Miniatur, um einen Maßstab (z.B. 10:1) zu bekommen. Markiere irgendeinen Punkt in der Miniatur und miß den Abstand von x- und y-Achse. Multipliziere diese Werte mit dem Maßstab, und schon hast du einen neuen Punkt, den Du in den großen Schnitt eintragen kannst. Auch hier gilt aber: Augenmaß. Wenn Du Dich in der Miniatur nur um einen Millimeterbruchteil vermessen hast, wird die Linie plötzlich bucklig. Das mußt du nach Gefühl ausgleichen: Kurven in Schnitten sind fast immer glatt, ohne Knicke oder Wellen. Falls ein Knick doch mal beabsichtigt ist, dann siehst Du ihn auch in der Miniatur. Hier gibt es eine detaillierte Beschreibung dazu.

 

Freihandschnitte

Das sind die schlimmsten, die einem unterkommen können: frei aufs Papier geklatschte Formen, die bestenfalls die Karikatur eines Zollstocks dabeihaben oder die Angabe, daß die Taillenweite oder Stoffbreite xy Zentimeter sei. Solang es aber überhaupt irgendwelche Maßangaben gibt, ach was: solang das Diagramm Maßstabgetreu und nicht verzerrt ist, ist Polen nicht verloren. Man sollte aber einen großen Ausdruck, ein gutes Lineal und einen sehr spitzen Bleistift haben.

Die Gittermethode ist recht simpel und erfordert nicht allzu viel Augenmaß. In der Schule haben wir damit Gesichter vergrößert und dann verzerrt - sowas kann regelrecht Spaß machen.

Zunächst errechnet man den Maßstab der Miniatur, indem man z.B. die angegebene Taillenweite (oder welches Maß auch immer bekannt ist) zu der in der Minitatur in Bezug setzt. Die größte Schwierigkeit dabei ist, daß man die Taillenlinie oft nicht genau feststellen kann, weil man dazu die Taillenlinie des Schnitteils mehr oder minder erraten muß...

Nun brauchen wir ein großes Papier mit Kästchen darauf. Es gibt z.B. von Burda Schnittpapier mit Zentimeterkästchen, aber die sind zu klein, um effizient damit arbeiten zu können. Zeichne lieber jede zweite oder dritte Linie nach und verwende diese Kästchen von 2x2 oder 3x3 cm. Verkleinere diese 2 bzw. 3 cm um den Maßstab, den Du vorhin errechnet hast, und zeichne ein entsprechend verkleinertes Gitter über die Miniatur. Das zeichnen des Gitters ist auch schon der schlimmste Teil, weil eintönig, und trotzdem muß man aufpassen, daß die Linien schön gleichmäßig und parallel werden.

Nun wählt man ein Kästchen auf der Miniatur, merkt sich den darin eingeschlossenen Linienabschnitt und zeichnet ihn genau so in das entsprechende große Kästchen, z.B. "von der linken unteren Ecke bis knapp rechts der Mitte der Oberkante, leicht durchhängend". So in der Art murmle ich mir das dabei vor. Wenn man alle Kästchen abgepfriemelt hat, sollte man nochmal den Schnitt im Ganzen anschauen und eventuelle nicht beabsichtigte Knicke glätten. Hier ein paar Illustrationen dazu