Die Herstellung einer Riegelhaube
des 19. Jahrhunderts


Teil 1

 

Das Material

Wichtige Worte zur Einleitung: Eine Riegelhaube zu machen ist, wie gesagt, aufwendig. Ich glaube, es ist von 300 Arbeitsstunden die Rede. Ich brauchte für mein Exemplar etwa ein halbes Jahr, Feierabende und Wochenenden (natürlich nicht alle, aber doch die meisten). Die Arbeitskosten lägen bei einem anständigen Stundenlohn auf jeden Fall irgendwo jenseits der 1000 Euro. Bei solch einem Aufwand fände ich es pervers, an den Matrialien zu sparen, die im Vergleich dazu nicht ins Gewicht fallen. Man sollte also zum edelsten greifen: Pailletten aus versilbertem oder vergoldetem Draht anstatt aus Plastik, Seidengarn statt Poly, Wollvlies oder Baumwollwatte statt Plastikvlies etc. Im Folgenden erwähne ich daher immer nur Materialien, die auch im 19. Jh. verwendet worden wären. Bekommen kann man sie alle, auch und gerade via Internet. Ob und inwieweit man davon abweicht, muß jeder für sich selbst entscheiden.

Was den Oberstoff angeht, habe ich in der Einleitung schon die Möglichkeiten dargelegt. Am ehesten geeignet wären Taft, Satin, Samt, Damast oder Brokat, jeweils aus Seide. (Achtung: Brokat enthält nicht unbedingt Silber- oder Goldfäden; die Muster chinesischer Brokate sind zu 95% ungeeignet). Üblicherweise (z.B. bei Trachtenvereinen) wird davon ausgegangen, daß eine Riegelhaube komplett silbern oder golden sein soll, aber das soll niemanden davon abhalten, aus den Möglichkeiten zu wählen, die - durch erhaltene Objekte erwiesen - authentisch sind. Die Forderung nach einem silbernen oder goldenen Grundstoff birgt zudem ein großes Problem: Bei den Originalen wurde vergoldeter oder versilberter Lahn (plattgewalzter Draht) in den Stoff eingewebt, je dichter desto teurer. Solchen Stoff gibt es heute eigentlich nur noch auf Bestellung direkt bei einer Weberei für sehr, sehr viel Geld - und bei den geringen Mengen, die man für einer Haube braucht, für noch viel mehr Geld. Die Alternative wäre Lurex, also Vollplastik, und das ist keine Alternative - siehe voriger Absatz. Als Ersatz empfehle ich hellgraue bzw. beigegelbe Seide, am besten Taft oder Satin. Changeant wäre am besten, d.h. Taft, bei dem Kett- und Schußfäden verschiedene Farben haben: Ein Changeant, der aus weißen und dunkelgrauen/schwarzen Fäden gewebt wurde, wirkt zwar grau, sieht aber "metallischer" aus als gleichmäßig grauer. Für Gold wäre vermutlich eine Kombi aus Gelb und Hellbraun oder Beige und Ocker geeignet.

In den meisten Geschäften müssen mindestens 20 cm abgenommen werden. Da sollte eine Stoffbreite (die normalerweise mindestens 90 cm beträgt) reichen.

Unterfütterung für den Oberstoff, der meist nicht sehr steif ist, aber recht steife und schwere Stickerei tragen muß: Baumwolle oder Leinen, leinenbindig, möglichst glatt, dicht gewebt, nicht zu dick und vorzugsweise einfarbig weiß bzw. natur. Der Oberstoff muß in einen Stickrahmen gespannt werden, so daß man eigentlich viel Stoff um das eigentliche Schnitteil herum bräuchte, nur um des Einspannens willen. Da man den Oberstoff aus Kostengründen lieber knapp kauft (v.a. bei Duchesse oder Brokat), heftet man die Schnitteile auf einen billigeren Trägerstoff auf, den man später wegschneidet. Die Unterfütterung sollte gleichzeitig auch als Trägerstoff dienen können – alles andere wäre zu viel Arbeit und könnte unerwünschte Effekte ergeben. Ein billiger Baumwollstoff wie Bomull oder Ditte vom Schweden eignet sich als Unterfütterung und ist gleichzeitig billig genug, daß man ihn so reichlich kaufen kann, daß er als Trägerstoff nicht ausgeht. Bettlaken von Oma wären auch geeignet.

Als Innenfutter kleingemusterter Leinen- oder Baumwolldruckstoff. Geeignete Muster findet man am ehesten im Patchworkhandel1, aber da die Auswahl eines zeitlich geeigneten Musters eines geübten Auges bedarf, ist im Zweifelsfall einfarbiges, dichtes (!) Leinen (z.B. sehr feines Bauernleinen) nicht verkehrt. Oft (meistens? jedenfalls in allen meinen Originalhauben) sind Haubenboden und -rand mit gemustertem Leinen bzw. Baumwolle gefüttert, die Schleife aber mit einfarbig halbgebleichtem Leinen (bei goldenen/silbernen Hauben) bzw. einfarbig schwarzem Leinen (bei schwarzen Hauben). Menge wie für Oberstoff.

Für die Stickerei-Materialien (auch Stickrahmen) siehe die Seite über Metallgarnstickerei . Je nach Größe der Haube und gewähltem Muster würde ich je 5-10 g Pailletten, Hut-Folien, Kantillen und/oder Lahn veranschlagen. Im Fall einer schwarzen Haube stattdessen schwarze und blaue oder schwarze und violette Rocaillen und Stangenperlen in mir unbekannter (mangels Erfahrung) Menge.

Für den Spitzenrand braucht man feine weiße Leinen- oder Baumwoll-Tüllspitze, z.B. Mechelner oder Valenciennes, von 1-1,5, maximal 2 Zentimetern Breite und 40 cm Länge. Außerdem ca. 2 m weiß umsponnenen Haubendraht (erhältlich im Hutmacherhandel, man google z.B. riefenstahl hutmacherei) von ca. 0,8 mm Dicke. Für eine schwarze Haube braucht man schwarze Spitze, die ungleich schwieriger zu finden ist als weiße, sowie schwarz umsponnenen Draht.

Für eine Schleife im Inneren 60-80 cm Seidenband (vorzugsweise Taft, auch wenn Satin leichter zu bekommen ist) in einer zum Futter passenden Farbe, ca. 0,5-1 cm breit.

Alle Haubenteile, die Querbänder der Schleife ausgenommen, müssen auf Pappe gezogen werden, damit die Stickerei Halt und die Haube Form hat. Dafür eignet sich möglichst langfaserige Pappe von 0,5-0,8 mm Dicke, die sich im angefeuchteten Zustand knicken läßt, ohne durchzubrechen. Leichtes Aufbrechen der Oberfläche ist in Ordnung, solange man die Knicke wieder glätten und nochmals knicken kann, ohne daß die Pappe völlig durchbricht. Kräftiges Leinengarn (halbgebleicht für goldene und silberne, dunkelbraun bis schwarz für schwarze Hauben) und dazu passende, kräftige Nadeln braucht man zum Zusammennähen der Teile, Ponal (oder ähnlichen Weißleim, kleine Flasche) zum einleimen. Zum Abpausen des Stickmusters ist ein Bügelstift hilfreich.

Zum Unterfüttern zwischen Pappe und Oberstoff etwas unversponnene Wolle, im Notfall auch Kosmetikwatte aus Baumwolle. Richtig authentisch wäre Werg, aber das ist kaum noch zu bekommen.

 

Teil 2: Der Schnitt

 

1) Manche US-Firmen reproduzieren Muster historischer Patchwork-Quilts. Reproduction Fabrics gruppiert Stoffe nach Epochen und erleichtert so die Wahl eines geeigneten Musters. Wer nicht im Internet bestellen will, kann sein Glück auf einer Patchworkmesse versuchen, wo es auch Stickrahmen, Leinengarn und andere praktische Utensilien gibt.