Herstellung einer Riegelhaube
des 18. Jahrhunderts

Teil 1

 

Geschichte und Definition

Die Riegelhaube kennt man gemeinhin als typische Kopfbedeckung der Münchner Bürgerinnen im Biedermeier, aber Vorläufer gab es schon früher.

Als Münchnerin und Geschichtsdarstellerin des 18. Jh. war es mir ein Anliegen, die Münchner Tracht des 18. zu erforschen und zu rekonstruieren. Die Nachforschungen zeigten, daß die Tracht der Münchnerinnen nur in Details von der der Augsburgerinnen, Ulmerinnen, Straßburgerinnen, Französinnen - sprich, ihrer gesamteuropäischen Zeitgenossinnen - abwich, wobei nie nur ein einzelnes Detail, sondern nur das gemeinsame Auftreten mehrerer Merkmale eine Unterscheidung ermöglicht. Ein einziges Detail aber ist beinahe alleine schon ausreichend: die Riegelhaube. Beinahe, weil es Abbildungen aus anderen Gegenden Süddeutschlands gibt, die der Riegelhaube sehr ähnlich sind*. Man könnte das für Portraits versprengter Exilmünchnerinnen halten, wären es nicht so viele, und wären da nicht die Votivbilder aus der Wallfahrtskirche Niederschönenfeld (nördliches Bayrisch-Schwaben) – fünf von denen ich weiß, die alle Riegelhauben darstellen. Übrigens ist die früheste mir bisher bekannte Darstellung einer Riegelhaube eine Figur aus Nymphenburger Porzellan, die auf 1755 datiert wird (links).

Wie eine Riegelhaube des 19. Jh. aussehen muß, ist relativ leicht herauszufinden: Man findet sie noch häufig auf Flohmärkten in und um München (siehe Foto rechts, im Stadtmuseum München). Wie eine Riegelhaube des 18. Jh. aussieht, ist nur von wenigen unzureichenden Abbildungen her bekannt – unzureichend, weil die Bilder zu klein sind und/oder nur die Vorderansicht zeigen, die nicht allzu viel verrät. Die Rekonstruktion muß folglich zu einem Gutteil Spekulation bleiben. Meine beste Quelle ist eine recht beschädigte Haube, die ich an einem glücklichen Tag aus der Bucht** gefischt habe und die ich mit Hilfe meines liebsten Buches zum Thema¹ auf ca. 1800-1810 datiert habe.

Ein Großteil meiner Rekonstruktion – vor allem Schnitt und Stickmuster – und mithin der folgenden Anleitung basiert auf diesem Glücksfund. Für die technischen Details habe ich einer Dame zu danken, die immer mal wieder Riegelhaubenkurse über die Münchner VHS anbietet – meistens leider aus Mangel an Interesse vergeblich.

Abbildungen zeigen, daß es vor ca. 1800 leicht unterschiedliche Formen von Brokat- und bestickten Hauben in ganz Süddeutschland gab, die sich offenbar nicht nur in der Größe, sondern auch in der Konstruktion unterschieden. Drei Hauptformen habe ich gefunden:

  1. rund um die Stirn liegender Rand mit großem, halbrundem Haubenboden, mit oder ohne Spitze über der Stirn: Suppenesserin, 1764 (Sz ¹ S. 22), Maria Walburga Moralt, ca.1795 (Sz S. 26), Frau Kratzer, ca. 1790-1800 (Sz S. 57), Bürgerin um 1770 (Sz S. 80), Frau Braun, ca. 1780 (Sz S. 125), Frau Schorn aus Nürnberg, 1769, Frau Bögner aus Tauberbischofsheim, ca. 1760-70, Votivbild,
  2. rund um die Stirn liegender Rand, spitzer, stark gefalteter Boden: Bürgersfrau um 1775 (Sz S. 56), Walburga Steigenberger, ca. 1785 (Sz S. 66), Votivbild, Votivbild, 1798
  3. vorn eckiger Rand, kleiner Boden: Familie Ruchte aus der Au, 1796 (Sz S. 27)

Die Familie Ruchte könnte man aus dieser Liste evtl. herausnehmen, weil ich hierfür einerseits nur dieses eine Beispiel gefunden habe, andererseits die Au damals noch längst nicht zu München gehörte. Bleiben zwei Haubenformen, die beide in und außerhalb Münchens zu finden sind. Die Unterschiede sind also wohl nicht nur auf regionale Eigenheiten zurückzuführen. Anhand der Datierungen scheinen sie auch gleichzeitig getragen worden zu sein. Meine einzige Erklärung dafür ist, daß möglicherweise noch nicht eine allgemeingültige Konstruktionsmethode existierte, weil sich die Riegelhaube noch entwickelte. Den o.g. Formen 1 und 2 ist immerhin so viel gemeinsam: ein breiter Haubenrand, ein Haubenboden und eine große, steife Schleife im Nacken. Vor allem die letztere macht eine Riegelhaube aus. Steife Hauben aus einem breiten Rand und Haubenboden, aber ohne Schleife, finden sich nämlich nicht nur in Süddeutschland. Subtrahiert man dann noch die Eigenschaft "steif", bleibt eine Beschreibung übrig, die auf so ziemlich alle Hauben des 18. Jh. in ganz Europa zutrifft.

Es ist davon auszugehen, daß die Urform der Riegelhaube jene Hauben waren, wie man sie aus weißem Leinen in ganz Europa trug, und zwar mindestens seit dem späten 17. Jh. Deren halbrunde bzw. halbovale Haubenböden wurden mittels Zugbändchen in einem Tunnel entlang der geraden Unterkante im Nacken zusammengezurrt (Bild unten links), damit sie sich rund um den Kopf schmiegten. Ein steifer Brokat (unten Mitte) aber läßt sich nicht so leicht in die entsprechenden kleinen Fältchen zurren, eine mit Pappe unterlegte Metallgarnstickerei (unten rechts) noch weniger. Es mußte also eine andere Möglichkeit gefunden werden, die Haube in eine kopfumschließende Form zu bringen. Und dafür, so vermute ich, fanden verschiedene Haubenmacherinnen verschiedene Methoden, von denen sich am Ende eine durchsetzte und die Form der Biedermeier-Riegehaube diktierte.

weiße Leinenhaube, mittleres 18. Jh. (Rekonstruktion) Brokathaube, wohl Mitte 18. Jh. (Original) Riegelhaube,spätes 18. Jh. (Rekonstruktion)

 

Die Zugbändchen, die bei Leinenhauben im Nacken zu einer Schleife gebunden wurden, dürften die Vorbilder der steifen Schleife sein. Die oben abgebildete Brokathaube von ca. 1750 wurde hinten bereits in festgenähte Falten gelegt, so daß Zugbändchen überflüssig waren, wegen des steifen Stoffs auch wenig genützt hätten. Stattdessen findet sich im Nacken eine funktionslose Schleife aus breitem Seidenband mit Goldspitzenbesatz. Daß sie funktionslos ist, zeigt die Goldspitze, denn die Spitze verträgt es nicht, beim Binden einer Schleife immer wieder durchgezogen zu werden. Die Schleife wurde also genau einmal - bei der Herstellung - gebunden und blieb dann so.Vor dort ist es nicht mehr weit bis zu einer Schleife, die eigentlich gar keine mehr ist, sondern nur noch das Symbol einer Schleife. Die Haube der Nymphenburger Porzellanfigur oben scheint eine Übergangsform zwischen der doch etwas schlapp hängenden Goldspitzen-Schleife und der größeren, völlig steifen, mit Karton unterlegten "Symbolschleife" darzustellen.

Da die folgende Anleitung noch im Aufbau ist, wirst Du hie und da roten Text finden, der mich daran erinnern soll, etwas einzufügen.

 

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*) Außerdem findet man Riegelhauben im 19. Jh. in großen Teilen Schwabens und Altbayerns, aber das waren fast sicher nicht Weiterentwicklungen der jeweiligen lokalen riegelhaubenähnlichen Hauben des 18. Jh., sondern Übernahmen der Hauptstadtmode.
**) der eBucht - Du versteh?
1) "Sz" steht hier und auf den folgenden Seiten jeweils für: Szeibert-Sülzenfuhs, Rita. Die Münchnerinnern und ihre Tracht : Geschichte einer traditionellen Stadttracht als Spiegel der weiblichen Bürgerschicht. Dachau: Verlagsanstalt Bayernland, 1997