Vor vielen, vielen, vielen Jahren hatte ich einige Meter Seidentaft in einem wunderbaren, knalligen Blau, die ich zu einer Robe à la française verarbeiten wollte. Zuerst aber wollte ich wissen, ob dieser Farbton historisch korrekt ist. Jemand schickte mir ein Bild, auf dem so ein Blau zu sehen war, und damals reichte mir das. Inzwischen sehe ich das anders.
Vor einer Weile blätterte ich durch eine Museums-Webseite, und es war wohl teilweise Zufall, daß mehrere Bilder zusammengruppiert waren, auf denen leuchtendes Blau die dominierende Farbe war. Es waren alles Miniaturen, genau wie das Bild, das man mir geschickt hatte.
Erfreulicherweise setzt sich zumindest außerhalb Deutschlands bei Museumsverantwortlichen zunehmend die Erkenntnis durch, daß die den Museen anvertrauten Artefakte keine privaten Pfründe der Kuratoren sind, sondern eine Allmende. Und so konnte ich die Bilder herunterladen, um sie hier ganz legal zu präsentieren. Sie sind ungefähr zeitlich sortiert, aber das ist eigentlich unerheblich.
Erheblich ist, daß es alles Miniaturen in Emaillemalerei sind, also die gleiche Technik, aber verschiedene Maler – und doch die gleiche Farbe. Es gibt nur eine hinreichend wahrscheinliche Möglichkeit, wie verschiedene Maler den exakt gleichen Farbton erreichen können: Wenn sie jeweils nur genau ein Pigment benutzen und das gleiche Malmittel. Da Ultramarinblau mit Abstand meine Lieblingsfarbe ist, weiß ich auch, welches Pigment das ist: Lapislazuli.
Als Halbedelstein ist Lapislazuli kein billiges Pigment, war es nie. Nicht zufällig ist Ultramarin die ganze Kunstgeschichte hindurch die Farbe für Mariendarstellungen. Für Miniaturen braucht man nur winzige Mengen davon, und das ist vielleicht der Grund, warum es gerade in Miniaturen so viel öfter auftaucht als in großen Gemälden.
Wie schon angedeutet, glaube ich mittlerweile nicht mehr, daß solche Darstellungen als Nachweis für ultramarinblaue Stoffe geeignet sind. Im Gegenteil: Ich habe sie hier zusammengeführt, um zu demonstrieren, daß Gemälde mit Vorsicht zu genießen sind, wenn es um Farben geht.
Als Mitte des 19. Jahrhunderts chemische Farbstoffe erfunden wurden, schossen bestimmte, erstmals möglich gewordene Farben in die Top Ten der Mode: Zuerst ein krachiges Rotviolett, dann ein ebenso knalliges Königsblau. Warum? Weil man es endlich konnte. Bis dahin hatte es nur einen einzigen blauen Farbstoff gegeben, nämlich Indigo. Egal, ob es der europäische Färberwaid war, der indische Indigostrauch oder der ostasiatische Färberknöterich: Es lief alles auf Indigo raus. Das ist der Farbstoff der klassischen Blue Jeans, und wie wir alle wissen, ist Jeansblau eher grünlich. Ultramarin hingegen ist reines Blau, eventuell mit einer Tendenz zu violett.
Als ich anfing, mit Pflanzenfärbungen zu experimentieren, wurde mir klar, daß Ultramarin keine Farbe war, die man mit zeitgenössischen Mitteln färben konnte. In den Miniaturen taucht Ultramarin vielleicht entweder deswegen auf, weil man gern Ultramarin getragen hätte, wenn man gekonnt hätte, oder weil man mit diesem teuren Pigment angeben wollte. Oder sie waren, wie ich, Fans von Ultramarinblau.
Meinen Taft mußte ich aber trotzdem nicht wegschmeißen, denn er ist ein Changeant, d.h. die Kettfäden sind grünlichblau, die Schußfäden violett. Zusammen ergibt sich zwar kein Ultramarin, aber eine Art Königsblau. Puh!
Abschließend möchte ich hier noch ein dreifaches Hossa! Hossa! Hossa! ausbringen auf die gemeinsame Webseite der Pariser Museen, deren Verantwortliche die glorreiche Idee hatten, Bilder unter der CCC-Lizenz zu veröffentlichen und daß man beim herunterladen gleich ein ZIP-Päckchen mit allen Bildern des Objekts und die Beschreibung als Text bekommt. Und daß die Inventarnummer Teil des Dateinamens ist. Das macht es mir richtig schön leicht. Die meisten, vielleicht gar alle Bilder in diesem Beitrag verdanken wir dem Musée Cognacq-Jay. Hossa! Hossa! Hossa!