Mädchenkleid (Jacke und Rock), Frankreich, um 1785
Seit Jahren predige ich, daß Dupionseide für Repro-Kleidung des 18. Jh. nicht geeignet sei, und dann kommt so ein Kleid daher. Aber eigentlich widerspricht es meiner Aussage nicht, wie ich sogleich darlegen werde.
Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, daß ein leinwandbindiger Seidenstoff mit Verdickungen automatisch Dupion sei. Das ist, wie der Mathematiker sagt, eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung. Oder anders ausgedrückt: Jede Dupionseide ist leinwandbindig und hat Verdickungen, aber nicht jede leinwandbindige Seide mit Verdickungen ist Dupion.
Der Stoff dieses Kleides ist IMO keine Dupionseide, aber um es genau sagen zu können, müßte ich den Stoff viel genauer sehen können. Aber es ist eigentlich egal, denn dieses Kleid ist ein Einzelstück, eine Singularität, und daher nicht geeignet zu beweisen, daß Dupio eben doch „erlaubt“ sein müsse.
Am Ende des Bloggerwalks fragte ich den Kurator, ob etwas über die Provenienz oder sonst etwas bekannt sei. Die Antwort lautete: Nein, wir wissen auch nichts, und Oberstoff mit Verdickungen kannte man anderweitig auch nicht.
Sonnenschirm, Süddeutschland oder Österreich, 1780er
Erhaltene Sonnenschirme aus dem 18. Jh. sieht man nicht so oft. Was an diesem so besonders ist: Die Bespannung ist nicht, wie sonst üblich, aus Seidentaft, sondern aus Leinen, bedruckt in der Art von Kupferstichen. Das Gestell ist aus Holz und nicht, wie ich eher erwartet hätte, Fischbein.
Ich glaube nicht, daß ich einen Sonnenschirm aus Leinen würde haben wollen, so hübsch er auch ist. Aber im Vergleich zu Seide ist Leinen sauschwer – bei etwas, das man mit einer Hand über sich halten soll, zählt jedes Gramm. Und bevor jemand fragt: Für einen Schirm, den man nicht selber trägt, sondern irgendein Lakai, ist der Stiel zu kurz.
Zwei Haarbeutel, um 1770 (GNM) bzw. 3. Viertel 18. Jh. (BNM)
„Der aggressive Puder hat ihn stark angegriffen“, schreibt das GNM zu seinem Exemplar (links). Auch im Buch „Kleiderwechsel“ (Jutta Zander-Seidel, 2002) wird der Puder als aggressiv beschrieben und dafür verantwortlich gemacht, daß nur wenige Haarbeutel erhalten sind, obwohl es deren einemal viele gegeben haben müsse. (S. 24, auf der gegenüberliegenden Seite kann man auch die Rückseite sehen.)
Nun sagen aber alle zeitgenössischen Quellen*, die ich bisher gelesen habe, daß der Puder üblicherweise aus Mehl (normales oder Stärke) bestand, dazu evtl. Violenwurzel, Kohle, Ocker und/oder Duftstoffe. Nichts davon erscheint mir besonders aggressiv. Ich vermute vielmehr, daß es an der Farbe liegt: Alle Haarbeutel sind schwarz, und schwarz hat erfahrungsgemäß ein paar Probleme. Zum einen braucht man für dauerhaftes und wirklich schwarzes Schwarz entweder sehr große Mengen Färbedroge, oder man hilft mit Eisensalzen nach (was billiger ist), oder beides. Und Eisensalze sind tatsächlich aggressiv. Zum anderen „schluckt“ Schwarz das meiste Licht, auch UV-Strahlung, und UV-Strahlung ist… genau, aggressiv. In meinem Fundus habe ich einen Lampas liséré mit schwarzen Musterfäden (runterscrollen, nach was grünem schauen), die sich weit stärker zersetzt haben als alle anderen. Aber nur auf der Vorderseite. Infolgedaher postuliere ich, daß nicht der Puder all die Haarbeutel zerstört hat, sondern Beizen und Tageslicht.
Abschließend möchte die Aufmerksamkeit des geneigten Publikums noch auf den grandiosen Plüsch des BNM-Exemplars hinweisen. Leider ist das Foto nicht ganz scharf, so daß man nicht hineinzoomen kann. In der Digitalsammlung der Bibliothèque National der France kann man Stoffproben von pluche betrachten, die aus der Richelieu-Sammlung von 1736/37 stammen. Möglicherweise wurde bei diesem Haarbeutel etwas ähnliches verbaut?
*) z.B.
Johann Bartholomäus Trommdorff. Kallopistria, oder die Kunst der Toilette für die elegante Welt. Erfurt 1805, ab S. 154 (google books)
Carl F. A. Hochheimer. Allgemeines ökonomisch-chemisch-technologisches Haus- und Kunstbuch oder Sammlung ausgesuchter Vorschriften: zum Gebrauch für Haus- und Landwirthe, Professionisten, Künstler und Kunstliebhaber, Bd. 3. Leipzig, 1800, S. 174 (google books)
Johann Heinrich Zedlers Großes vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaftne und Künste. Halle und Leipzig, 1732-1754. Spalte 1170