Kette Leinen, Schuß Wolle

Heilig’s Blechle, vor lauter weben und nähen habe ich ein Jahr schon nichts mehr gepostet!

Dabei habe ich in der Zwischenzeit sogar historisches gewebt, nämlich karierte Leinenstoffe nach Stoffproben aus dem 18. Jh. Da war allerdings nichts außerordentlich spannendes oder speziell historisches daran, außer eben, daß jeweils exakt dieses Karo historisch nachweisbar war.

Aber mein jetziges Projekt ist etwas spannender. Ich muß allerdings ein wenig ausholen.

Aus der englischsprachigen Literatur zum 18. Jh. kenne ich einen Stoff namens linsey-woolsey, bestehend aus Leinenkette und wollenem Schuß. Er wird als eher grob, einfach beschrieben, ein Stoff für arme Leute. Aber andererseits wurden Bettvorhönge daraus gemacht, das klingt gar nicht so einfach und sieht auf Fotos erhaltener Stücke auch nicht sonderlich grob aus – manche Exemplare aber schon.

Na jedenfalls, ich wußte zunächst nicht, ob es im deutschen Sprachraum solche Stoffe gab, es erschien mir aber wahrscheinlich. Aber unter welchem Stichwort sollte ich danach suchen? Irgendwie kam mir dann der Begriff „Beiderwand“ unter. Der ist nicht ohne, weil es noch ein anderes Gewebe gibt, das auch Beiderwand genannt wird. Aber ich fand dann doch einen einsamen Blogeintrag von Marled Mader, wo ich wieder neue Begriffe fand, nach denen ich in historischen Quellen suchen konnte. Ich fand viel, aber nicht genug: Noch viel mehr Begriffe nämlich, oder eher alternative Schreibweisen, aber keine Beschreibungen, die mir mehr sagten als das, was ich schon wußte: Kette Leinen, Schuß Wolle. Als Webarten wurden Leinwand und Köper genannt, von Farben war nie die Rede. Ich hatte gehofft, Hinweise darauf zu finden, daß man sich die Tatsache zunutze gemacht hat, daß Wolle leichter zu färben ist als Leinen, um bunte Schußstreifen zu erzielen. Zeitgenössische Zitate in Textiles in America hatten bei mir diesen Eindruck erweckt. Z.B. von John Fanning, undatiert: „Their petticoats of linsey-woolsey, were striped with gorgeous dyes…“ Und bei Perkins, 1833, „white, blue, blue and white mixed, blue and red mixed, and striped, of various colours.“

Die wenigen Abbildungen, die ich gefunden habe, waren die einfarbigen Bettvorhänge (im V&A, glaube ich), ein einfarbiger Anzug (Metmuseum? Ich finde ihn nicht mehr), sowie ein einfarbig roter Stoff und ein paar gestreifte Stoffe in John Styles‘ The Dress of the People, nämlich:

  • Rot-Weiß gestreift, wobei es so aussieht, als ob die weißen
    Schußstreifen aus dem gleichen Leinen wären wie die Kette, und deutlich dünner als der Wollschuß. Verwendung: Rock. S. 284
  • Verschieden breite dunkel- und hellblaue Streifen mit gleich dicker Kette, deutlich dicker als die Stecknadel, also vllt. 1mm (S. 264)
  • Braun-weiß gestreift, die Streifen je 2 Fäden breit und deutlich dicker als die Kette (S. 264)

Außerdem

Zu meiner Enttäuschung weisen die wenigen gestreiften Stoffe oft ausgerechnet solche Farben auf, die man auch auf Leinen leicht hätte färben können. Die Bettvorhänge waren farblich auch wenig spannend; nur die einfarbig roten Stoffe und die skandinavischn Teile passen zu der These, daß die Motivation, solch unterschiedliche Fasern wie Leinen und Wolle zusammenzubringen, darin lag, daß Wolle leichter zu färben war. Die Schweden reißen es hier eindeutig raus – aber liegt das daran, daß sich dort bäuerliche Kleidungsstücke eher erhalten haben als woanders, oder war ihre Beiderwand bunter als woanders? Irgendeinen guten Grund muß es jedenfalls gegeben haben, denn so richtig gut passen die Fasern nicht zusammen. Das Gewicht kann es nicht sein, weil Leinen schwerer ist als Wolle. Leinen läßt sich gut heiß waschen, Wolle ist beim waschen heikel. Weniger „warm“ als reine Wolle dürfte es auch nicht gewesen sein, nicht zuletzt, weil Wolle an sich gar nicht warm ist – sie isoliert nur gut. Bleibt eigentlich nur der Preis, und da bin ich noch am forschen.

Wenn es um Artefakte und ihre Preise geht, schaue ich gern bei den Proceedings of the Old Bailey nach. Zu linsey-woolsey fand ich im 18. Jh.: 3x Vorhänge, 3x Bettvorhänge, 3x Schürze, 2x Weste und 1x Rock. Der Rest war Meterware. An Farben 3x Blau, 1x Weiß und 1x Rot-Weiß gestreift, sonst ungenannt. Die Preise scheinen sich um 0,75-1 shilling pro yard (0,91 m) zu bewegen. Leinen und andere einfache Stoffe sind ähnlich angesiedelt; nicht näher bezeichnete Seidenstoffe liegen bei 1,5-2 shillings, Damast und Brokat um die 10 shillings pro yard. Beim Vergleich mit eher einfachen Stoffen bin ich noch nicht so weit gediehen, weil die Aufzeichnungen teils nicht eindeutig sind (was z.B. ist stuff?), teil überspezifisch, d.h. da wird exakt unterschieden zwischen verschiedenen Sorten von Baumwoll- oder Leinenstoffen. Und Wollstoffe sind erst richtig schlimm! Bei Baumwollstoffen scheint es Richtung 1-1,5 s/yd zu gehen. Die Unterschiede klingen gering, aber wenn das Jahresgehalt einer Hausangestellten bei 40 bis 160 shillings lag (3,33 bis 13,33 pro Monat), dann zahlt die einfache Küchenmagd für einen Rock aus 3 yards Beiderwand etwa 2/3 eines Monatsgehalts, und für einen aus z.B. gestreiftem Baumwollstoff fast ein ganzes.

Momentan existiert meine Liste der diversen Namen nur auf einem Zettel, der früher oder später verschwinden wird. Dies ist mein Backup:

Beiderwand
Beilwand
Berwes
Weidawand
Beederman
Petermann

Tirtig/Tirtich
Tirtei/Tirte
Dirredei
Tirchen
Tierentein
Tierentey
Tiretaine*
Tijretijn (niederländisch)

*) eine Suche nach Tiretaine findet in französischen Quellen außerdem Berluche/Bréluche (gestreift), Bélinges und Berlingue.

Offenbar gibt es zwei etymologische Familien: Eine um den deutsch wirkenden Begriff Beiderwand herum und eine anscheinend französischstämmige um Tiretaine herum, mit niederländischen und deutschen Ableitungen und sogar einer Quelle, die den schottischen Tartan damit in Verbindung brachte. Marled listet außerdem noch Wullaken auf, was keine Verwandschaft aufzuweisen scheint, aber es gibt eine gewisse Ähnlichkeit zu den französischen Begriffen um Berluche und Bélinges.

 

Nachtrag.

Aus Peter Nath Sprengels Handwerke und Künste in Tabellen. Die Woll- und Seidenfabriken. Berlin: Verlag der Buchhandlung der Realschule,1776:

„Der schlechteste Zeug, wozu Schafwolle genommen wird, ist der sogenannte gestreifte Flanell. […] nur der Einschuß von Schafwolle, die Kette aber von leinen Garn… Zur Kette deses Zeuges nimmt man ein dunkelgefärbtes leinenes Garn, zum Einschlag aber gefärbte Wolle, die von Kämmling [Kämmabfall, d. Säzz.] und einem Zusatz von schlechter aber übrigens guter Wolle gesponnen wird. Man webet diesen Zeug leinwandsartig, und giebt ihm durch den gefärbten wollenen Einschlag Streifen von verschiedenen Farben. (S. 70)

Nachtrag 2.

Inzwischen glaube ich zu wissen, warum ich unter „Beiderwand“ zwei grundverschiedene Gewebe fand: Beide haben Leinen als Kette und Wolle als Schuß. Aber während linsey-woolsey ein einfaches Leinwandgewebe ist, ist Beiderwand ein Doppelgewebe, dessen eine Lage komplett aus Leinen besteht, die andere aus Leinen-Kette und Woll-Schuß mit Leinen-Zwischenschuß. Indem mal die eine, mal die andere Lage nach oben tritt, ergeben sich  kunstvolle Muster. Da sogar englischsprachige Weber*innen Beiderwand im letzteren Sinne kennen, wäre es wohl angebracht, für das Äquivalent von linsey-woolsey einen anderen Begriff zu verwenden. Sprengels „gestreifter Flanell“ böte sich an, weil historisch verbürgt, aber „Flanell“ an sich ist schon anderweitig besetzt. Dann vielleicht doch Tirtich? Oder Dirredei?

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