Auf einem Flohmarkt ging das hier vorgestellte Miederleibl für einen sagenhaft
günstigen Preis weg, den ich hier nicht nennen möchte, weil ich mich
sonst auf Jahre hinaus darüber ärgere, daß ich es nur Stunden
später selbst hätte erwerben können. Wia's da Deifi wui, landete
es bei einer Hobbykollegin, die es mir leihweise zum Studium überließ.
Vielen Dank dafür!
Das Miederleibl ist ein Teil diverser Trachten, u.a. der Münchner, und wurde unter dem steifen Mieder getragen. Es verdeckt das Hemd, das als Unterkleidung galt und mithin nicht gesehen werden sollte. In der Trachtenberatungsstelle Schwaben hat sich für dieses Kleidungsstück der Begriff "Miederärmel" durchgesetzt, wohl weil die Ärmel der sichtbarste Teil sind, während der Rest weitgehend unter dem Schultertuch verschwindet.
Die Datierung um 1840 basiert vor allem auf der Tatsache, daß der Ärmel bis etwa Mitte des Oberarms eng anliegend ist, unterhalb davon puffig weit wird und zum Handgelenk hin wieder eng. Die historische Übersicht bei Szeibert-Sülzenfuhs1 S. 102 ebenso wie zeitgenössische Abbildungen und die herrschende Modelinie zeigen genau diese Ärmelform in den Jahren um 1837-1845. In den 1830ern waren Keulenärmel üblich, die schon an der Schulter weit wurden, nach ca. 1845 hingegen verschwinden die Verzierungen, die sich um den Oberarm legen. Was mich überrascht hat ist die Tatsache, daß die Ärmel an der üblichen Stelle ansetzen, also da, wo die Schulter in den Arm übergeht, während die Ärmelnaht bei Modekleidern der Zeit meist weiter unten auf dem Oberarm sitzt².
Das Miederleibl besteht aus einer Unterkonstruktion von relativ grobem, dicht gewebtem, ungebleichtem Leinen, das im oberen Bereich - da, wo es nicht vom Mieder verdeckt ist - mit einem jacquardgemusterten Seidensatin belegt ist. Hinten, wo die Miederträger und das Schultertuch es verdecken, ist die Seide durch einen Baumwollstoff ersetzt. Die Ärmel sind in Oberstoff und Futter zweiteilig geschnitten: Oben anliegend, unten gepufft. Überall da, wo Oberstoff aufgelegt ist, existiert auch eine Zwischenschicht aus einem dünnen Wollvlies. Das Vlies wird von Stichen in der Farbe des Oberstoffs gehalten, die im Abstand von ca. 3-4 cm über die ganze Fläche verteilt sind.
Das Leibl ist mit einer Oberweite von 80 und einem Oberarmumfang von 30 cm ausgesprochen klein. Möglicherweise gehörte es einem jungen Mädchen, oder es hat sich, wie so viele Kleidungsstücke, nur erhalten, weil es der Eigentümerin zu klein war.
Das Leinenfutter besteht aus nur einem Schnitteil pro Seite, was eher ungewöhnlich ist - normalerweise erwartet man ein im Stoffbruch zugeschnittenes Rückenteil und zwei Vorderteile. Das ist wohl auch der Grund dafür, daß die hintere Mittelnaht nicht im Fadenlauf liegt: Entweder liegen vordere und hintere Mitte beide im Fadenlauf, dann hat man einen einen völlig zylindrischen Korpus, oder man tailliert ein wenig, und dann ist eine fadengerade Vorderkante leichter zu versäubern als eine schräge. Nahe der Schulter vorn ist das Futter einmal gestückelt.
Dort, wo kein Oberstoff aufliegt, sind die Nähte als Kappnähte ausgeführt und die einzige Versäuberung (an der Vorderkante) durch zweimaliges Umschlagen, die Nahtzugaben jeweils innen. Die Unterkante ist die Webkante. Dort, wo der Oberstoff beginnt, wurde das Futter zum Teil eingeschnitten, damit man die Naht umdrehen kann, d.h. von diesem Punkt an ist die Nahtzugabe nach außen gewendet, zum Oberstoff hin.
Das Ärmelfutter besteht aus einem feinen, cremefarbenen Baumwollstoff, der relativ offen gewebt ist und dadurch recht weich, leicht und fließend ist. Für die Bewegungsfreiheit der Arme ist das sicher besser als das steife, grobe Leinen des Korpus'. Auch hier zeigen sich die weit verteilten Stiche, die das Wollvlies am Platz halten.
Der Oberstoff zeigt auf einem atlasbindigen Grund von dunklem Ultramarin ein Muster von Rosenblüten und Zweigen in Kupfer und Schwarz. An der Ärmeldekoration kann man etwas von der Rückseite sehen; hier zeigt sich, daß das Muster nicht broschiert ist, sondern alle drei Farben in vollflächig verwebt. Hinten ist, wie gesagt, die Seide zum Teil durch einen Baumwollstoff ersetzt worden. Die Grundfarbe ist Braun mit einem streifenförmig angeordneten Muster in beige, rot, schwarz und weiß. Die Streifen (und mithin der Fadenlauf) verlaufen parallel zum Fadenlauf des Futters. Sogar hier wurde gestückelt - mit Rücksicht auf das Muster (Streifen trifft auf Streifen), dann aber wieder doch nicht (es sind nicht die gleichen Streifen).
Der Oberstoff ist im Rückenteil überhaupt nicht gestückelt, aber vorn besteht er aus 4 bzw. 5 Stücken (rechts und links weitgehend gegengleich). Das mag daran liegen, daß die Vorderseite meist durch das Schultertuch verdeckt war - der Großteil des Rückens allerdings auch. Der obere Teil des Ärmels weist eine Stückelnaht auf. Alle Stückelnähte sind so ausgeführt, daß die Nahtzugabe zwischen Oberstoff und Futter liegt.
Der obere Ärmel ist ohne Falten, aber mit einer Paspel in das Armloch eingesetzt. Etwa in der Mitte des Oberarms ist dann der untere Ärmel eingereiht daran angesetzt, wiederum mit Paspel. Die Ansatzstelle wird nur knapp verdeckt von einer schwarzen Seidenfransen-Borte, die an einen Streifen Oberstoff angesetzt ist, der um den Arm herumläuft und nur an seiner Oberkante entlang mit einer Paspel angeheftet ist. Man kann den Streifen also hochklappen und findet darunter die braune Baumwolle des Rückenteils als Futter und Versäuberung. Die Fransenborte ist darauf anstaffiert. Knapp über diesem Streifen ist ein schwarzes Samtband angenäht, dessen geometrisches Muster mit Goldfarbe aufgedruckt wurde. Die Oberkante des Samtbandes wiederum wird ganz knapp überlappt von der Fransenborte eines weiteren Oberstoff-Streifens, der genauso aufgebaut ist wie der erste, nur daß er mit Seidenstoff gefüttert wurde und man sich etwas mehr Mühe gegeben hat, indem man zum Füttern und zum anstaffieren der Borte diesmal nicht weißen Zwirn verwendete, sondern feineres (seidenes?) blaues Garn. Die Seide, die hier als Futter dienste, ähnelt dem Oberstoff, hat aber eine etwas andere Farbkombination und Webart. Sie findet sich auf einer Seite des Halsausschnittes wieder, wo sie als Kantenversäuberung benutzt wurde, als ob am Ende nicht einmal mehr ein so kleiner Steifen Oberstoff übrig war.
Die Ärmel enden unspektakulär mit einem Schlitz in der Naht, der mit je einem Haken verschlossen wird. Dieser greift in eine genähte Öse auf schwarzem Garn, die unauffällig außen auf dem Oberstoff sitzt. Beide Ärmel haben auch innen eine Öse. Hängt man den Haken in diese, wird die Öffnung für das Handgelenk deutlich enger (ca. 17 statt 19,5 cm). Ärmelsaum und Schlitz sind durch zweimaliges Umschlagen des Oberstoffs versäubert.
Die Nähte sind nicht immer so gestaltet, wie man es erwartet. Wie bereits erwähnt wechseln beim Futter die Nähte zwischen rechts auf rechts gekappt und links auf links und dann auseinandergefaltet. Wo die Seide der Baumwolle Platz macht, sind die beiden Oberstoffe rechts auf rechts aneinander genäht, während die beiden spiegelbildlichen Teile der Baumwolle entlang der hinteren Mitte mit untergeschlagener Nahtzugabe eine auf die andere aufgelegt und mit Vorstichen befestigt ist. Die Rückstichnähte sind sehr sparsam ausgeführt, fast ohne "Rück".
Bei den Zierstreifen am Ärmel sind Oberstoff und Futter an der Unterkante rechts auf rechts mit Vorstich zusammengenäht, verstürzt und an der Oberkante mit zwischengefaßter Paspel gegeneinander staffiert. Dann wurde die Fransenborte auf die Innenseite gesetzt und relativ locker anstaffiert.
Die Halskante wurde versäubert, indem der Oberstoff über die Futterkante gefaltet wurde. Mit untergeschlagener Zugabe wurde er dann ans Futter staffiert. Eine Ausnahme davon bildet der weiter oben erwähnte Streifen eines anderen Seidenstoffes, der wie ein Flicken um die Kante greifend aufgesetzt ist. Möglicherweise wurde hier der Oberstoff zu knapp geschnitten oder es ist die Schere ausgerutscht.
Die Ärmel-Längsnaht ist mit naturfarbenem Leinengarn grob überwendlich versäubert, wie es auch im 18. und späten 19. Jh. offenbar üblich war, die Ärmeleinsatznaht hingegen mit bläulichgrünem Leinengarn.
Die Garnauswahl ist interessant: Überall da, wo nur Futter genäht wurde, ist es naturfarbenes Leinengarn. Sind Futter und Oberstoff oder nur Oberstoff beteiligt, ist es blaues Leinengarn ähnlicher Dicke: Schulternaht, Ärmeleinsatznaht, Ärmel-Längsnaht, Aufsetznähte des Oberstoffs und der Zierstreifen. Auch da, wo die (braune) Baumwolle mit sichtbaren Vorstichen genäht ist, ist es blaues Garn. Die Stiche, die das Wollvlies halten, sind aus dünnerem Garn (etwa heutige Nähgarnstärke), das aber auch Leinen zu sein scheint.
In der hinteren Mitte am Halsausschnitt ist eine Schlaufe aus schwarz-braunem Baumwoll-Köperband innen aufgesetzt worden. Sie ist 9mm breit 7 cm lang. Der Zweck ist mir ein Rätsel. Daß man so ein kostbares Kleidungsstück daran aufgehängt hat, kann ich mir nicht vorstellen.
Die Versäuberung des Halsausschnitts bildet einen Tunnel, durch den ein schmales, buntes Köperband (orange, weiß und grün) gezogen ist. Es reicht offenbar ganz um den Ausschnitt herum.
An der Vorderkante wurden offenbar nachträglich drei schwarzlackierte Eisenhaken angebracht, gegenüber genähte Ösen, die eigentlich nur aus ein paar langen, parallelen, aber ungleich langen Stichen bestehen. Die Stiche wie auch die Garn-Wahl (schwarzes Leinen) wirken unpassend und grob. ZumVergleich: Die Haken im Ärmelsaum sind aus Messing, mit blauem Garn befestigt, und obwohl die Ösen hier ebenfalls aus schwarzem Garn bestehen, ist dieses dünner und die Ösen sind odentlich mit Knopflochstich umstickt.
1) Szeibert-Sülzenfuhs, Rita. Die
Münchnerinnern und ihre Tracht : Geschichte einer traditionellen Stadttracht
als Spiegel der weiblichen Bürgerschicht. Dachau: Verlagsanstalt
Bayernland, 1997
2) z.B. Bradfield, Nancy. Costume in Detail 1730-1930. New York: Costume and
Fashion Press, 1997.