Tja, tut mir leid, die gibt's hier nicht. Die Art, wie ich den Begriff "Tracht" verwende, unterscheidet sich stark von dem, der in den üblichen Medien (besonders zur Oktoberfestzeit) im Schwange ist, und auch von dem, was die meisten Trachtenvereine postulieren. Ich betrachte Tracht als regionale Variante eines historischen Modestils. (Siehe auch "Was ist eigentlich Tracht?")
Das, was man als Dirndl bezeichnet - ein Kleid mit engem Oberteil, weitem Rock und Schürze - , ist aber eine Erfindung der modernen Modeindustrie. Die älteste Abbildung, die ich kenne, und die mit dem Begriff "Dirndl" einhergeht, findet sich in einer Modezeitschrift von 19171 ("Dirndlanzug für die Sommerfrische", Bild links). In einer in Berlin verlegten Modezeitschrift, wohlgemerkt. Es gibt Hinweise darauf, daß das Dirndl auf die Gründerzeit zurückgeht2, als immer mehr Sommerfrischler aus der Stadt das Oberland besuchten und sich, um die als romantisch empfundene Ländlichkeit in vollen Zügen zu genießen, in "ländliche" Kostüme kleideten, wobei "Kostüm" in diesem Zusammenhang durchaus als "Verkleidung" zu verstehen ist. Ähnliches kennt man aus dem 18. Jh.; damals nannte man so etwas "Schäferkostüm".
Egal ob 1880 oder 1917: Zu der Zeit waren Regionaltrachten im ursprünglichen Sinn - also als Alltagkleidung - bereits ausgestorben. Nur die zähesten unter ihnen haben überhaupt die Mitte des 19. Jh. noch als im Alltag getragene Kleidung erlebt, und auch das vielleicht nur dank königlicher Förderung4. Sicher haben im 19. Jh. Frauen dirndlähnliche Kleider getragen, aber eben nur ähnlich, und das war einfach Kleidung, wie sie überall vorkam. Nimm ein Modekleid aus der Zeit von, sagen wir, 1840-1890, ziehe alles davon ab, was bei körperlicher Arbeit hinderlich wäre (Keulenärmel, Drapierungen, Krinoline, Tournüre etc.) und addiere eine Schürze, um den Stoff zu schützen, auf daß das Kleid möglichst lange hält. Vielleicht war das Alltagskleid der Bäuerinnen und Landarbeiterinnen des 19. Jh. die Ahnin des Dirndls, aber vielleicht hat auch nur mal wieder jemand die alten Bilder nicht gescheit angeschaut und etwas entworfen, was "halt so in etwa" so aussieht wie die alten Trachten. So ähnlich wie mit den "Rokokokleidern" mit Reißverschluß im Rücken eben.
Und Lederhosen? Nun ja, die wurden tatsächlich gern getragen - von Reitern, Jägern und anderen Leuten, die aus irgendeinem Grund kein Tuch am Bein brauchen konnten, weil es sich zu schnell durchrieb oder an Himbeerranken hängenblieb. Aber nicht nur in Bayern, sondern in ganz Europa und durchaus auch von feinen Leuten. So findet man in einem französischen Werk des mittleren 18. Jahrhunderts (Garsault, L'art du tailleur) eine Anleitung zum schneidern von Lederhosen. Immerhin: Die Klappe vorn, die für Krachlederne typisch ist, wird dort "à la bavaroise" (im bayrischen Stil) genannt - aber auch wenn die Klappe in Bayern erfunden wurde, war sie im späten 18. und sehr frühen 19. Jh. in ganz Europa üblich. Die etwas über-knielangen Hosen sind in Schnitt und Verarbeitung nicht viel anders als die Culottes, wie es sie in ganz Europa und Deutschland gab, z.B. auch in Hamburg und Thüringen. Auch in anderen Volkstrachten haben sie sich erhalten.
Die nicht einmal knielangen Hosen des Klischees, die Krachledernen im engeren Sinne, waren im Alpenland (also in den Bergen, z.B. Südtirol und Salzburger Land3) zumindest im 19. Jahrhundert gebräuchlich und vielleicht sogar, anders als lederne Culottes, eine echte regionale, alpine Spezialität. Aber Bayern besteht bekanntlich nicht nur aus Alpen - und die Alpen sind nicht nur in Bayern.
Na jedenfalls, Dirndl gelten für mich nicht als Tracht in dem Sinn, wie ich das Wort verwende, und Lederhosen im Sinn von "weniger als knielang" bestenfalls als die Tracht einer bestimmten kleinen Region. Und da ich die alten Klischees nicht noch fördern will, kein Wort mehr davon!
1) Mode und Haus. Illustriertes Mode- und Familien-Journal.
Nummer 17, XXXIII. Jg. vom 3. Juni 1917. Verlag John Henry Schwerin, Berlin.
2) Dufter jun., Otto, Tracht
und Trachtenpflege
3) Prodinger, Friederike, und Reinhard R. Heinisch: Gewand und Stand. Kostüm-
und Trachtenbilder der Kuenburg-Sammlung. Salzburg: Residenz Verlag, 1983.
In den dort versammelten Bilderndes sehr späten 18. Jh. sind die Hosen
noch knapp knielang und puffig-weit.
4) Szeibert-Sülzenfuhs, Rita. Die Münchnerinnern und ihre Tracht :
Geschichte einer traditionellen Stadttracht als Spiegel der weiblichen Bürgerschicht.
Dachau: Verlagsanstalt Bayernland, 1997, S. 33