Das Stadtmuseum Schärding (Oberösterreich) besitzt zwei Caracos. Eins ist aus Droguet, die andere aus grünem Lampas.
In Form und Zuschnitt entspricht die Jacke dem Typus des Caracos, der im Süden des deutschen Sprachraums Bestandteil bürgerlicher Tracht des 18. Jahrhunderts war. Zu den typischen Merkmalen gehören der figurnahe Zuschnitt mit schmalem Rückenteil und weit um die Seite herumreichendem Vorderteil, der tiefe Ausschnitt, das weite, ausgesteifte Schößchen, der Knopfschluß und die Ärmelflügel, die in der französischen Tracht1 schon um 1750 aufgegeben wurden, in bürgerlichen Trachten aber bis kurz vor Ende des Jahrhunderts zu finden sind.
Die Ärmel sind zeittypisch ellenbogenlang und einteilig geschnitten. Die Ärmelflügel entsprechen in ihrer Form etwa dem, was um 1740-50 in der französischen Tracht üblich war, weisen aber eine besondere Eigenheit auf, die das Caraco mit seiner Droguet-Kollegin gemeinsam hat. Diese Eigenheit ist im Artikel über das Droguet-Caraco bereits eingehend beschrieben worden. Einziger Unterschied ist, daß das Droguet-Caraco beidseits des rechteckigen Einsatzes je drei Falten ausweist, dieses aber drei auf der Schauseite und nur zwei auf der dem Körper zugewandten Seite.
Der Verschluß besteht aus sieben aufwendig gearbeiteten Posamentenknopfen, die wie im 18. Jh. üblich auf der rechten Seite sitzen. Der gesamte Knopf wird über einem halbkugeligen Kern (vermutlich Holz) von einem Silbergespinst überspannt, das die Form einer sechsblättrigen Blüte hat. Die dreieckigen Zwischenräume, die sich zum Rand hin zwischen den Blütenblättern ergeben, sind mit umeinandergeschlungenen Silberfäden gefüllt, in einer Technik, die an Nadelspitze erinnert. Die Knopflöcher sind mit dunkelgrünem, etwas verblaßt wirkendem Zwirn umstochen und viel größer als nötig, aber auf ganzer Länge aufgeschnitten, was bei solch übergroßen Knopflöchern im 18. Jh. zumindest bei Männerröcken oft nicht der Fall war.
Der Verschluß wurde offenbar nachträglich geändert: Auf der Knopfseite, also rechts, wurde ein Keil an die vordere Mitte gesetzt, der zwischen dem 2. und 3. Knopf von unten beginnt und zum Dekolleté hin bis etwa 2 cm breit wird. Dieser Keil findet sich auch auf der Futterseite als ein gröberes, dunkleres Leinen. Entlang der Kante des eigentlichen Futterleinens sind Löcher in Vierergruppen zu sehen, wo die Knöpfe ursprünglich angenäht gewesen sein müssen.
Im unteren Bereich, zwischen der Taillennaht (wo auch das unterste Knopfloch sitzt) und etwa Mitte des angesetzten Keils, sind fünf Drahtösen auf der Knopfseite (rechts) angebracht, zu denen aber keine Haken auf der Knopfloch-Seite zu finden sind. Die Seide weist allerdings einige Löcher auf, wo einmal Haken angebracht gewesen sein könnten. Vielleicht hat die Jacke mehrere Figur-Änderungen ihrer Trägerin mitgemacht oder aber die Eigentümerin gewechselt.
Der Oberstoff ist ein Lampas liséré² mit einem tannengrünen, leinwandbindigen Grundstoff, über dem flottierende leuchtend blaugrüne Plattseide³ wechselnde Hintergrundmuster bildet, z.B. eines aus Streifen mit stark stilisierten vierblättrigen Blüten und ein anderes, das an florentiner Fliesen erinnert, mit Blättern in jedem spindelfömigen Feld. Darüber liegt aus weißer Plattseide ein Muster von Weinlaub und Trauben sowie dichten Buketts stilisierter Blumen. Während beim Droguet-Caraco fast alle Farben außer den Nähfäden stark ausgebleicht sind, hat hier nur der Leinwand-Hintergrund ein wenig ins Bräunliche gewechselt. In den Faltenschatten des Schößchens ist die Farbe des Grundstoffes nur einen Hauch bräunlicher als die Flottierungen; in den nicht lichtgeschützten Bereichen ist der Unterschied stärker. Während beim Droguet-Caraco der Faden der Nähte und Knopflöcher die Farbe sehr viel besser gehalten hat als der Stoff selbst, ist es hier umgekehrt: Der Farbton des Nähgarns ist dem des Stoffes zwar ähnlich, aber blasser.
Um den gesamten Halsausschnitt herum wurde eine Dekoration aus goldenem Gespinst4 angebracht, was etwas seltsam wirkt, wo doch die Knöpfe in silbernem Gespinst gearbeitet sind, was zu dem grün-weißen Stoff auch besser zu passen scheint. Vielleicht ein weiterer Hinweis auf einen Eigentümerwechsel?
Das Futter des Korpus und der Ärmel und besteht aus mittelfeinem halbgeleichtem Leinen, das des Schößchens und der Flügel aus cremefarbener Seide. Die gleiche Seide bildet auch einen Beleg unter der Knopfloch-Leiste, aber nicht auf der Kopfseite. Unter diesem Beleg befindet sich ein weiterer, schmalerer Beleg aus lachsfarbener Seide, der an den Knopflöchern und an beschädigten Stellen des oberen Belegs hervorblitzt. Beide Sorten Futter Leinen und Seide sind sehr knapp innerhalb der Kanten mit Vorstichen in grünem Seidenzwirn angenäht, die innen wie außen nur ganz kurz nach außen treten. Auf Höhe der Schulternaht wurde je ein schmales Lederbändchen an die Ärmelnaht genäht, wohl als Aufhänger.
Oberstoff und Futter sind in einem sehr guten Zustand, nur unter den Achseln zeigen sich geringe Tragespuren, wohl durch Schweiß.
Die Konstruktion gleicht der des Droguet-Caracos, mit einem interessanten Unterschied: Der ans Rückenteil angeschnittene Teil des Schößchens wurde wattiert und die Wattierung punktuell mit dem Seidenfutter verbunden. Auch von außen her sieht man einzelne Punkte, die nicht zum Stoffmuster passen und vielleicht zur Wattierung gehören. Auch die Ärmel sowie eine etwa handgroße Stelle auf Höhe des linken Schulterblattes sind wattiert.
Anders als beim Droguet-Caraco ist das Leinenfutter des Rückenteils in einem Stück (im Stoffbruch) zugeschnitten. Das Rückenteil des Futters wurde mit untergeschlagener Kante auf das Futter des Vorderteils gelegt und anstaffiert. Gleich daneben, leicht ins Vorderteil versetzt und nach oben, zum Ärmel hin sich von der Futter-Naht entfernend, verläuft eine Vorstich-Naht aus grünem Seidengarn. Von außen betrachtet wurde die Seide des Rückenteils mit untergebugter Kante mit Vorstich auf das Vorderteil gesetzt. Diese grünen Vorstiche sind es wohl, die man auf der Futterseite sieht. Das läßt darauf schließen, daß die gleiche Konstruktionsmethode verwendet wurde wie beim Droguet-Caraco (siehe dort), nur hat man beim Anstaffieren des letzten Futterteils die Naht nicht richtig getroffen. Da man die Naht beim Anstaffieren des Futters gut sehen kann, muß das wohl bedeuten, daß das Futter etwas knapp zugeschnitten wurde oder es war, wie so oft im 18. Jahrhundert, von untergeordneter Bedeutung, ob ein Kleidungsstück von innen einwandfrei aussieht.
In ähnlicher Weise wurde die Ansatznaht des Schößchens vorn verarbeitet: Zuerst die beiden Oberstoff-Teile und das Seidenfutter zusammen mit Vorstich verbunden (Korpus-Teil mit umgebugter Kante), dann das Korpus-Futter auf dem Seidenfutter anstaffiert. Hier zeigen sich auf ganzer Breite zwei parallele grüne Stichreihen entweder mußte die Naht nachgearbeitet werden oder es war ein Fall von "doppelt genäht hält besser".
Entlang der rechten Vorderkante findet sich im Leinenfutter der Knopfseite eine Absteppung mit Leinengarn, entlang der hinteren Mitte zwei. Ihre Breite und Lage läßt vermuten, daß sie einmal mit Fischbeinstäben gefüllt waren. In der hinteren Mitte, kurz unterhalb des Halsausschnitts, sitze ein ein kleiner quadratischer Lederflicken, der minimal breiter ist als die beiden parallelen Absteppungen zusammen. Ich nehme an, daß darunter Löcher ins Futter geschnitten wurden, um bei einer Umarbeitung das Fischbein entnehmen zu können. Als der Keil an der Knopf-Kante angesetzt wurde, mußten die dortigen Nähte sowieso aufgetrennt wurden, so daß der Stab dort bei dieser Gelegenheit entnommen werden konnte. Auf der Knopflochseite gab es sehr wahrscheinlich keinen Fischbeinstab, weil der das Zuknöpfen erschwert hätte. Auf der Knopfseite hingegen war zusätzliche Stabilität durchaus wünschenswert, vor allem, wenn die Knöpfe recht schwer waren.
Der Seidenbeleg auf der Knopflochseite des Futters wurde erst aufgesetzt, als die Jacke ansonsten fertig gefüttert und die Knopflöcher im Oberstoff umstochen waren. Danach wurden die Knopfloch-Schlitze des Belegs mit einem cremefarbenen Seidengarn (dem gleichen, mit dem der Beleg anstaffiert worden war) relativ grob überwendlich versäubert.
Auf Höhe des Armlochs wurden beidseits des Dekolletés Abnäher mit groben, schwarzen Stichen durch alle Lagen gleichzeitig genäht. Alle drei Eigenschaften weisen deutlich auf eine spätere Änderung hin: 1. Grob, 2. andersfarbiges Garn, 3. durch alle Schichten zusammen. Die goldene Borte verläuft über diese Abnäher, wurde also wahrscheinlich erst zum Zeitpunkt der Änderung aufgesetzt (vielleicht, um die Abnäher zu kaschieren), was erklären wurde, warum sie sich nicht ins Silber-Grün-Weiß-Farbschema einfügt.
Um die Änderungen zusammenzufassen: Vergrößerung der Oberweite durch angesetzten Keil rechtsseitig sowie des Gesamtumfangs durch Haken-Ösen-Verschluß und Stillegung des Knopfschlusses, Abhäher am Halsausschnitt, Entnahme der Fischbeinstäbe, Anbringen einer Goldborte. Die ersten beiden Punkte bedeuten, daß die Eigentümerin zugenommen hat, sofern es nicht ein Eigentümerwechsel war.
Fragen, die offenbleiben müssen: Woher kam das zusätzliche Stück Oberstoff für den Keil? Warum wurden alle Haken und nur die oberen Ösen entfernt? Hat die Trägerin später abgenommen und konnte dann den Knopfschluß wieder benutzen?
Der Schnitt steht als PDF zur freien privaten oder wissenschaftlichen, nichtkommerziellen Verwendung zur Verfügung.
Bei einer Rekonstruktion ist zu bedenken, daß der Schnitt nur den Ist-Zustand abbildet, mit allen im Lauf der Zeit entstandenen Verzerrungen durch das Tragen oder die Lagerung sowie zusätzlichen Verzerrungen durch die beschränkten Möglichkeiten, den Schnitt von einem dreidimensionalen Objekt abzunehmen, das man nicht mal einfach plattdrücken kann.
Der Schnitt zeigt hier das linksseitige Vorderteil (zu erkennen an den Knopflöchern), allerdings gespiegelt (ich weiß nicht mehr, warum). Das ist die Seite, die nicht nachträglich geändert wurde.
Der Nahtverlauf in der Taille des Rückenteils sowie die Unterkante des Ärmels konnten nur ungefähr eruiert werden. Die Ärmel wurden einmal von außen und einmal von innen vermessen, die Ergebnisse dann bei der digitalen Bearbeitung zusammengefügt und Brüche geglättet. Wo die Föügel aufgesetzt sind, mußte der Verlauf der Unterkante der Ärmel geschätzt werden. Die Falten in den Ärmelflügeln mußten ebenfalls geschätzt werden, anhand des Verlaufs der sichtbaren Faltenbrüche.
1) zeitgenössische Bezeichnung dessen, was
wir heute als vorherrschende Mode des. 18. Jh. kennen, siehe z.B. Zimmermann,
P. Die junge Haushälterinn, ein Buch für Mütter und
Töchter. Basel, 1792, wo zwischen "französischer Tracht"
und "Stadttracht" unterschieden wird.
2) Lampas wird mit zwei Kettsystemen gewebt, von denen eines ein schlichtes
Grundgewebe wie Leinwand, Rips oder Satin bildet, die andere Muster. Lampas
liséré ist zusätzlich mit andersfarbigen Schußfäden
broschiert. Der hier vorliegende Dreiklang von glattem Grund, gleichfarbigem
Hintergrundmuster und darüber liegendem, andersfarbigem/buntem Vordergrund-Muster
ist typisch für Lampas liséré des 18. Jahrhunderts. Die
blaue Schärdinger Schnürbrust
ist ein Beispiel für Lampas ohne liséré, d.h. ohne Broschierung.
3) Nicht gesponnenes Garn aus Haspelseide. Da Haspelseide aus bis zu mehreren
Kilometer langen Filamenten besteht, muß sie (anders als Schappeseide
aus kürzeren Fasern) nicht gesponnen werden, um daraus ein Garn zu machen.
Die parallel liegenden Filamente weisen einen höheren Glanz auf als gesponnene
Seide und wurden daher v.a. als Broschier- und Stickgarn benutzt. Plattseide
ist ein zeitgenössischer Begriff.
4) zeitgenössischer Begriff für Seidengarn, das spiralförmig
mit sehr dünn gewalztem Gold- oder Silberdraht umwickelt wurde. Heute
z.B. als Japangold bezeichnet. z.B. Johann Karl Gottried Jacobsons technologisches
Wörterbuch, Zweyter Theil, von G bis L. Berlin und Stettin: Friedrich
Nicolai, 1782.
Gierl, Irmgard. Miesbacher Trachtenbuch: Die Bauerntracht zwischen
Miesbach und Inn. Weißenhorn: Anton H. Konrad Verlag, 1971
Laturell, Volker D. Trachten in und um München: Geschichte
Entwicklung Erneuerung. München: Buchendorfer Verlag, 1998
Prodinger, Friederike, und Reinhard H. Heinrich. Gewand und Stand: Kostüm-
und Trachtenbilder der Kuenburg-Sammlung. Salzburg: Residenz Verlag, 1983
Szeibert-Sülzenfuhs, Rita. Die Münchnerinnen und ihre Tracht.
Dachau: Verlagsanstalt "Bayernland",1997
Szeibert-Sülzenfuhs, Rita. Die Münchnerinnen und ihre Tracht.
Dachau: Verlagsanstalt "Bayernland",1997
Zumsteg-Brügel, Elsbet. Die Tonfiguren der Hafnerfamilie Rommel.
Ulm: Süddeutsche Verlagsgesellschaft, 1988
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