Trachten auf Niederbayern und Oberösterreich

in Votivtafeln aus Sammarei

 

Die Wallfahrtskirche Sammarei beherbergt weit über tausend Votivtafeln aus der Zeit vom mittleren 17. Jahrhundert bis heute. Ich habe alle abfotografiert, die erkennbar aus dem 17., 18. oder frühen 19. Jahrhundert stammten und die ich ohne Leiter erreichen bzw. ohne Blitz fotografieren konnte. Ich mußte mich beeilen, denn zwischen Türöffnung und dem Beginn eines gut besuchten Rosenkranzgebetes hatte ich nur 30 Minuten.
Aus denen, die halbwegs gelungen sind, habe ich jene ausgewählt, die ins lange 18. Jahrhundert fallen.

Dann habe ich versucht, sie nach auffallenden, wiederkehrenden Merkmalen zu gruppieren, was insofern nicht ganz einfach ist, weil manche Bilder mehrere verschiedene dieser Merkmale enthalten.

Nicht alle sind datiert, der Herkunftsort der Wallfahrer:innen ist selten verzeichnet, und wenn, dann ist er oft wegen der Schreibweise oder der Namenshäufigkeit nicht mit Sicherheit auszumachen. Es ist also schwer zu sagen, ob z.B. ein häufiges Merkmal regionaltypisch für Niedebayern oder Oberösterreich oder beide ist, oder sogar darüber hinaus. Oder ob ein Merkmal, das aus dem Rahmen fällt, aus einer ganz anderen Region stammt – oder aus einer Zeit oder einem Kontext, die sonst eher unterrepräsentiert sind, z.B. aus dem Arbeitsalltag. Manche Votivtafeln erzählen Geschichten aus dem Alltag: wie jemand von einem Stamm fast erschlagen wurde oder vom Heuwagen fiel. Die meisten aber zeigen kniend Betende, vermutlich in Festtagstracht, oder – vor allem bei den künstlerisch schlichten Tafeln – in einer mutmaßlich stilisierten, standardisierten Tracht. Daß viele Tafelmaler eher nach einem Ideal oder "Standard" malten als nach dem echten Leben schließe ich daraus, daß oft ganze Familien uniform gekleidet sind. Zudem fielen mir drei Tafeln besonders auf:

 

Die gleiche Komposition, die gleiche Ex-Voto-Plakette mit der gleichen Schrift darin. Das Wenige, das man vom Gnadenbild sieht (kommt davon, wenn man auf Klamotte fokussiert ist) scheint auch gleich zu sein. Daraus schließe ich, daß sie aus der gleichen Werkstatt stammen, vielleicht vom gleichen Maler. Die beiden äußeren zeigen die gleiche Tracht; 1772 noch sehr unbeholfen, 1779 schon besser. Bei der mittleren sehen Rock und Rosenkranz genau wie bei den anderen aus, nur der Oberkörper und der Kopfputz sind anders. Wenn sie aus dem gleichen Jahrzehnt und aus dem gleichen Ort stammen — warum ist dann Eine anders gekleidet?

Aber ich schweife ab. Die folgende Präsentation ist weitgehend nach auffälligen Merkmalen gruppiert.

 

Die Modischen

Auf den qualitativ besseren Tafeln sieht man oft eine größere Vielfalt der Farben als in den einfachen Tafeln, sowie Schnitte und Accessoires, die an der bürgerlich-städtischen Kleidung orientiert sind. Die Kleidung der Männer unterscheidet sich kaum von dem, was Männer in ganz Europa trugen. Die Frauen sind regionaler: Während zur französischen Tracht lange Roben gehörten, sieht man bei Stand- und Landfrauen meist Kombinationen aus Rock und Jacke. Anders als auf dem Land sind ihre Hemden aber nicht hochgeschlossen; Hemd wie Jacke haben ellenbogenlange Ärmel, die Jacken sind tief ausgeschnitten und der ausschnitt wird mit einem Halstuch verdeckt.

Fontange und Spitzenkragen, 1709 Wäre das exvoto nicht unmißverständlich 1737, hätte ich es für später (1760ff) gehalten. Die älteste mir bisher bekannte Abbildung eines schwarzen Flors mit silberner Schließe: Die hielt ich bisher für ein Phänomen von 1780ff.
Familienbildnis, 1738. Ein frühes Beispiel uniformer Kleidung, sogar bei der Bettlägerigen. Schürzen mit Latz siehr man in Sammarei auch bei den Modischen nicht allzu oft. 1768
Nicht nur die Farben, auch die Hauben sind individuell. Das Kleinkind trägt einen Fallhut. 1773 Die erste mit bekannte Abbildung, bei der die Knöpfe an Männerkleidung links sitzen. Über einer roten Weste scheint er einen gelben und einen braunen Rock zu tragen?? 1773.
Eine der wenigen weißen Hauben, wie sie auch in Frankreich üblich war. Den Oberkörper scheint ein Mantelet zu bedecken. 1774 Von Kopf bis Fuß in Rot. Auch dies ist kein einteiliges Kleid, sondern Jacke und Rock. Dazu eine frühe Form der Riegelhaube. 1775
Nicht im strengen Sinne modisch, aber um einen extra Hausmantel und extra Hauspantoffeln zu besitzen, mußte man schon wohlhabender sein. In einer der anderen Votivtafeln sieht man einen Kind in einem ähnlich gestreiften Gewand. 1775. Eine frühe Riegelhaube. 1777
Undatiert. Anhand der Haubenform tippe ich auf 1780er/90er 1817 aus Raab, OÖ

Die Arbeitenden

Ein ganz besonderes Schmankerl: 1707 übersteht die tugendreiche Frau Maria Magdalena Kriglin, Bier Breyin zu Aidtenbach, einen Arbeitsunfall. 1716 entgeht der ehrngeachte Hanß Michael Kriegl (mit den Initialen HK auf der Schürze), Bier Brey noch lediges Stands zu Aidtenbach, einem ebensolchen. Vor wegen Frauen übten kein Handwerk aus. Auf dem Heuwagen eingeschlafen? 1770er.
 
Man beachte die kurzen Röcke. Undatiert.  

Schwarze Hauben

Von schwarzen Hauben wird oft angenommen oder behauptet, sie seien Witwenhauben. Die Familienbildnisse aus Sammarei widerlegen das. Obwohl wir im Stadtmuseum im nahegelegenen Schärding eine recht große Zahl an Riegelhauben gefunden haben, wie sie auch zu München üblich waren, sind auf den allermeisten Votovtafeln schwarze Hauben mit schwarzem Spitzenstoß zu sehen, mit und ohne Schneppe. Manchmal fragt man sich, ob es sich um schwarze Schneppenhauben mit Pelzhut darauf handelt, aber da wir wissen, daß in dieser Region vor allem die Berghaube verbreitet war (die angeblich so heißt, weil über dem Scheitel ein Berg aus Tüll aufgetürmt war), halte ich es für wahrscheinlicher, daß es die Maler einfach nicht besser konnten. So ein Tüllgerüschel ist nun mal nicht leicht darzustellen.

Die frühen Tafeln (17. Jh. bis 1730er) zeigen oft eine zurückgenommene Farbigkeit mit viel Braun, bei den Frauen auch Schwarz bzw. Schwarz-Weiß. Der kleine Deckel auf der Stirn der älteren Tochter begenet uns noch einmal bei der Sechslingsmutter von 1738 weiter unten. 1707 Schleierartige Gebilde unter schwarzen Hauben scheinen bis ins dritte Viertel des 18. Jh. zur Tracht verheirateter Frauen zu gehören, in Niederbayern ebenso wie hier in Antersham, OÖ. 1741
Beffchenähnliche Kragen bei Frauen finden sich vom späten 17. bis zum mittleren 18. Jh. (siehe Familie von 1742). Für eine Haube scheint die Kopfbedeckung der Mutter zu voluminös und kugelig, aber vielleicht konnte es der Maler einfach nicht besser. 1722 Noch häufiger als Schleier sieht man an Familienmüttern schwarze Hauben – aber oft auch an den Töchtern. Ein Hinweis auf den Familienstand sind sie also nicht. Der Maler wollte wohl schwarze Spitze andeuten; Vatern trägt Perücke: Eine wohlhabende Familie. 1742
1755 1781
undatiert. Hier war der Maler gut genug, daß man eindeutig Berghauben identifizieren kann. 1807

Schwarze Topfhüte

Die Fes-ähnlichen schwarzen Zylinderhüte begenen uns auf den Votivtafeln überraschend oft. Offenbar sind sie Teil der Jungferntracht: Die Töchter tragen sie, die Mutter aber eine schwarze Berghaube (oder doch Pelzkappe?). Ist eine einzelne Frau abgebildet, weist der Text sie oft als ledig aus.

Ein kleines schwarzes Käppchen auf dem Schleier findet sich sonst nur im späten 17. Jh. Die Töchter scheinen sogar Mühlsteinkragen zu tragen. Das Mannsvolk in formlosen Kitteln, Papa mit Vollbart... das alles wirkt viel zu archaisch für 1738. Wenn das wirklich eine Sechslingsgeburt war, und Mama das überlebt hat, war es wirklich eine Wallfahrt wert. Man beachte die Kombination aus rotem Stecker und blauer Jacke. 1749
Rote Stecker, blaue Jacken. 1771

 

Und wieder: Rote Stecker, blaue Jacken. Papa scheint einen breiten (federkielgestickten?) Gürtel zu tragen. Und Hosenträger mit Querriegel. Die Kniebänder sind mit Schleifen geschlossen. Mama trägt Pelzhaube und das Kleinkind einen gestreiften Hausmantel, der dem des modischen Herrn von 1775 sehr ähnelt. 1779
Und nochmal... undatiert Etwas dunkel geraten, aber immer noch... 1790

Rote Stecker, blaue Jacken

Blaue Jacken, die über roten Steckern offenstehen, finden sich über die ganze zweite Hälfte des Jahrhunderts. Zuerst fielen sie mir bei Jungfern auf, dann aber auch bei Paar- und Familienbildnissen. Es könnte sich um eine relativ kleinräumige Regionaltradition handeln, allerdings ist eine solch starke Uniformierung im 18. Jahrhundert eigentlich nicht üblich – das ist eher eine Erfindung der Trachtenvereine des 20. Jh. Vielleicht ist es ein Fall standardisierter Darstellung ("Ich male das immer so!"), wofür spräche, daß bei den Familienbildnissen (oben, 1771 und 1779) auch das Mannsvolk eine ähnliche Farbgebung aufweist.

Hochgeschlossenes Hemd, rote Ärmelaufschläge, in grün abgesetzt (passend zum Stecker). 1760 Was hier wie die Quasten eines orientalischen Fes herunterzuhängen scheint sind wahrscheinlich Bänder, die durch die Haare geflochten sind (siehe auch die nächsten zwei Tafeln). undatiert
1770 1779
Ungewöhnliches Fürtuch, oben schwarz, unten blau, mit einer Borte? dazwischen. Die gepunktete Haube wäre ebenfalls sehr ungewöhnlich, es sei denn, der Künstler wollte damit Spitze darstellen. Der Stecker reicht sehr weit hinauf. 1781 Hier sieht man besonders schön, wie hochgeschlossen und langärmelig ihr Hemd ist. Hier sieht es so aus, als wäre das Rote am Handgelenk keine Aufschläge, sondern engere, längere Ärmel eines darunterliegenden Kleidungsstücks, was allerdings unwahrscheinlich ist. Hübsch: Wie ihr Flor und seine Halsbinde einander spiegeln. Leider ist nicht so recht zu erkennen, ob sie da eine braune (!) Pelzkappe trägt – eine braune Begrhaube wird's ja wohl nicht sein? (Wenn bei einer schwarzen Haube keine Details zu erkennen sind, liegt das v.a. an der Farbe. Aber bei Braun...) Moerham (nicht zuordenbar) 1796

Hemdsärmel

Ganz selten einmal sieht man eine Frau im 18. Jahrhundert in Hemdsärmeln, d.h. ohne Jacke über der Schnürbrust. Wenn, dann ist sie bei sich daheim, eine Jungfer, oder geht gerade körperlicher Arbeit nach. Weiter oben, bei den Arbeitenden, hatten wir schon zwei Beispiele. Besonders gut sieht man hier, daß die Hemden hochgeschlossen und langärmelig sind, ganz im Gegensatz zur französischen Mode. Und die Schnürbrüste sind fast alle rot. Wenn ihnen kalt wird, oder nach getander Arbeit, ziehen sie bestimmt alle blaue Jacken an.

Topfhut, auch hier wieder rot durchflochtene Zöpfe: Jungfer. Holzkirchen (vermutlich das bei Ortenburg) 1776 Trotz der eher groben Malerei sind zwei Details gut zu erkennen: Daß die rote Schnürbrust über einem Stecker geschnürt wid (auf manchen Bildern sieht es eher wie ein hochgeschlossenes Leibchen Verschluß aus) und daß der Halsauschnitt des Hemdes mit Rüschen verziert ist. 1777
Jungfer. 1781 Hier fällt ganz offensichtlich der Papa von Baum: Er hat eine Jacke an, die Buben nicht. Nicht nur bei den Frauen, sondern auch bei den Männern geziemte es sich nur für Kinder, Ledige oder körperlich Arbeitende, hemdsärmelig zu sein. 1783
Außer den Hemdsärmeln selbst gibt es hier keine Hinweise auf den Familienstand. Das Hemd ist hier tiefer ausgeschnitten, dafür scheint sie zwei Halstücher zu tragen: Ein rotes und darüber ein weißes. Schön zu sehen der steif-geschwungene Haubenstoß (da muß Draht drin sein) und die vorn mittig sitzende Schürzenbandschleife. 1801 Ein Beispiel von "im Haus". 1803

Der Rest

Eigentlich außerhalb ders Zeitrahmens, aber weil es eine der schönsten, qualitativ besten Votivtafeln in der ganzen großen Sammlung ist, mußte sie dazu. Leider undatiert. Der Kleidung nach um 1670-1680. (Sofern das Paar modisch auf der Höhe der Zeit ist, sonst eben 1680-1700.) Bärte sind sogar beim Bauernvolk im 18. Jh. selten, wie die Votivtafeln zeigen. Dieser steht noch ganz im Zeichen des 17. Jh. Münzkirchen, oÖ, 1701
Da das Bild ansonsten recht ordentlich gemalt ist, gehe ich davon aus, daß das keine allzu stark vereinfachten Mühlsteinkragen sind. 1704 Der Hut! 1707
Münzkirchen, oÖ, 1707 Streng genommen hätte ich diesen Herrn bei den Modischen einsortieren sollen. 1711
Holzham (bei Arnstorf?), 1716 undatiert
1718 1727
Braune Pelzkappe? 1735 1736
Das ist doch bestimmt eine Pelzkappe? Falst schon ein Kolpak. 1746 Er ist etwas verwaschen, aber in Sie muß der Maler verliebt gewesen sein. 1752
Sitzen da schon wieder die Knöpfe links? Und auf der Hand. Darf man wohl bei den schlichteren Votivtafeln nicht so eng sehen. Heining (Passau), 1765 1766
Schwarze Haube mit weißem Stoß. Esternberg OÖ, 1767 1768
1769 Schwarze Berghaube mit weißem Stoß? Oder schwarze Fellkappe auf weißer Haube? Der fluffige Rand ebenso für Tüll wie für Pelz stehen. 1769
Völlig unbehaubt! Skandal! 1771 1775
1776 Hätte eigentlich zu dem Modischen gehört. Eine der Maltechnisch besseren Tafeln. An der schwarzen Haube ist hinten was Goldenes... wenn das mal keine Berghaube mit Böndl ist!... 1776
1779 Das Fürtuch ist bestimmt aus Chintz. Und ist der große Punkt neben ihrem Kopf der Haarpfeil, der das Böndle hält? Ein schlicht, aber schick gekleidetes Paar. 1779
Ein Soldat mit Schnurrbart. 1787 Während in der französischen Mode Knieschnallen geradezu ein Muß sind, sehen wir auf dem Land sehr oft Kniebänder mit Schleifen. 1793
1801 Eine gemusterte Kombination und besonders schön geschwungener Haubenstoß.1805
1805 Das Kind könnte, zur Jahreszahl passen, ein einteiliges Kleid mit Empire-Anleihen tragen. Papas Weste ist doppelreihig geknöpft: Das sahen wir früher noch nicht. 1816
 
Eigentlich schon außerhalb des Zeitrahmens, aber es zeigt, wohin bei den Hauben die Reise geht – und bei den rot-blau-Kombinationen. wie beim Kind aus dem vorigen Bild ein braunes Kleid mit kleinteiligem, hellem Muster. 1822  

Bonus: Betten

Man macht sich eher selten Gedanken darüber, wie sich die Leute früher gebettet haben. Dabei ist es schon auffällig, wie sehr sich das Bettenmachen noch heute von Land zu Land unterscheidet. Da muß eine ziemlich lange Tradition dahinterstecken. Zeitgenössische Abbildungen gibt es sonst nur unter dem Motto "Besuch bei der Wöchnerin" (selten) und bei erotischen Szenen (sehr häufig, aber meist sehr gehoben möbliert).

Schärding, Datierung verdeckt 1738
1777 Vom Detailgrad her eine der besten Tafeln. Datierung unleserlich
 
1800