Alltag im 18. Jahrhundert

Einführung

 

Alltag, was ist das? Jede Einkommens- und Bildungsschicht, jeder Mensch hat seinen eigenen Alltag, je nachdem, wie sie oder er seinen Lebensunterhalt verdient. Der Alltag des Adels und des reichen Bürgertums ist durch erhaltene Briefe und Memoiren relativ gut dokumentiert und ehrlich gesagt etwas langweilig: Mehr oder weniger spät aufstehen, Toilette machen, Besuche empfangen/machen, Mittagessen, Briefe schreiben, Spazieren fahren, ins Theater oder auf einen Ball gehen, Abendessen bis Mitternacht. ¹ Das Einkommen bezog diese Schicht v.a. aus der Verpachtung ihrer Ländereien.

Oft vergessen wird das mittlere Bürgertum, das keinen Landbesitz hatte, aber doch ein Einkommen, das ihnen erlaubte, ein bis drei Personen Gesinde zu Beschäftigen, d.h. hauptsächlich erfolgreiche Kaufleute sowie Akademiker. Letztere wurden Ärzte, Pfarrer, Apotheker oder arbeiteten meist entweder im öffentlichen Dienst oder ließen sich von den Reichen als Hauslehrer anstellen. Auch die nicht-erbenden zweiten, dritten usf. Söhne des Kleinadels wurden entweder Akademiker, Kleriker oder Offiziere und lassen sich dieser Schicht zurechnen.

Der größte Teil der Bevölkerung hatte einen ganz anderen Tagesablauf, und auch da kann man sich, wenn man zwischen den Zeilen der wenigen Schriftquellen liest, ungefähr vorstellen, wie das abging: Früh aufstehen, in die Werkstatt (oder aufs Feld) gehen und irgendeinem Handwerk (oder der Landwitschaft) nachgehen bis zum Abend. Außer am Sonntag natürlich, und selbst dann hätten viele wohl gearbeitet - arbeiten müssen - , um die Familie zu ernähren, hätten die Pfaffen ihnen nicht mit der Hölle gedroht. Zumindest war das für die Männer so.

Es ist vor allem der Alltag außerhalb wohlbekannter Berufe, der uns heutigen Aha-Erlebnisse beschert, und das ist vor allem der Alltag der Hausfrau, des Gesindes, der Ausübenden längst ausgestorbener Berufe sowie jene Details im Alltag eines jeden Menschen, die selbst Memoiren kaum erwähnen: Was man von welchem Geschirr aß, wie man sich bettete, Körperhygiene und - ganz besonders selten - wie man aufs Klo ging.

Es ist nur natürlich, daß es zu all diesen Themen kaum Literatur gibt: Man hielt es nicht für wert, aufgeschrieben zu werden, weil es für Zeitgenossen selbstverständlich war. Allenfalls in Nebensätzen und durch Anekdoten, die man in der Literatur weit verstreut findet, erfährt man, daß es z.B. in Londoner Parks offenbar üblich war, in Sichtweite der Spaziergänger zu kacken (aber mit dem Gesicht zum Gebüsch, damit man nicht erkannt wird), und daß Männer überall in Europa des öfteren in Hauseingänge pinkelten, in London aber an Prellsteine¹, mit dem Rücken zu den Häusern, deren Bewohner einen nicht erkennten sollten. Das mag für sich genommen nicht sehr interessant sein, sagt aber viel über die jeweiligen Vorstellungen von Anstand aus. Um das zu erfahren, brauchte es einen nicht-englischen Reisenden, der das ungewöhnlich genug fand, um es aufzuschreiben, denn die Londoner fanden nichts dabei.

Wie man den Alltag meisterte, wurde also gemeinhin nicht aufgeschrieben. Auch vom Alltag einer bürgerlichen Hausfrau erführe man nichts, hätte nicht Ende der 1780er ein(e) gewisse(r) P. Zimmermann sich berufen gefühlt, ein zweibändiges Büchlein zu veröffentlichen, das in Dramaform junge Mädchen an die Aufgaben einer Haushälterin heranführen soll². Soweit ich herausfinden konnte, wurde die Erstausgabe 1787 veröffentlicht, die zweite oder dritte 1792, die fünfte und wohl letzte 1807. Fünf Auflagen binnen 20 Jahren sind für die damalige Zeit nicht schlecht; daß trotzdem nur wenige Exemplare erhalten sind³, sagt einiges darüber aus, für wie wertvoll man die darin enthaltene Information später erachtete. Hauptsache, das Papier war weich4. Jedenfalls liegt dieses Büchlein dem größten Teil meiner Seiten zum Thema Alltag zugrunde.

 

1) Casanovas Memoiren
2) Zimmermann, P. Die junge Haushälterinn. Luzern: J.M. Anich, 1807
3) Laut letzter OPAC-Recherche ein Exemplar in Basel und eines in Regensburg, jeweils die 5. Auflage
4) Vgl. Pratchett, Terry, zum Thema Almanach; bzw. Reger, Max (Komponist) an einen Kritiker: "Ich sitze im kleinsten Raum des Hauses. Ihre Kritik habe ich vor mir. Bald werde ich sie hinter mir haben."